Navigation STOP-SIMPLY.de

In der Räucherkammer aufgewachsen (Teil 2): Der Entschluss

Einen markanten Unterschied gibt es zwischen uns. Beide sind wir Linkshänder, doch ich wurde als Kind auf rechts Schreiben getrimmt, er nicht. Etwa 6 Wochen beleuchtete ich das Thema von allen Seiten und beschloss, nie wieder die rechte Hand zum Schreiben zu zwingen. Nach anfänglichen Zeichenübungen schrieb ich, ins kalte Wasser springend, einfach mit links, ungeachtet der möglichen Unwegsamkeit. Das wundersame war, Buchstaben zeichnen konnte die linke Hand recht schnell und fast perfekt, doch konnte sie nicht die Worte des Gehirns eins zu eins notieren.
Manchmal gab es sogar Doppelsätze zum selben Sachverhalt in meiner Gedankenwelt. Ich gab nicht auf. Und schließlich, je länger ich schrieb, desto eindeutiger und klarer wurden Gedanken und Gefühle. Nun folgte die Hand dem Gehirn und schrieb Wort und Satz genau nach Anweisung nieder. Ich wurde innerlich ruhiger und gelassener. Ich hörte, roch, schmeckte und sah Episoden aus meiner Kindheit an mir vorüber ziehen, als ob es gestern geschehen wäre. Nun verstand ich den unsagbaren Stress, die schmerzliche Qual und den unerbittlichen Zwang, den das Rechtsschreiben in mir verursacht hatte. Alles Brüder von Mister Sucht. Die neue reiche Welt ist plötzlich bunt, kräftig und intensiv. Die Aufgabe war nun, das Neue zu leben.

Der Urlaub

Seit einigen Jahren haben wir uns in die Landschaft der Weststaaten der USA verliebt. Wir finden immer wieder neue atemberaubende Wege. Und vor und nach dem Urlaub steht dem Raucher der sehr quälende Langstreckenflug mit seiner gigantischen Herausforderung des Entzugs der Urlaubsvorfreude entgegen. Und viele von uns kennen die Räucheraquarien an den Flughäfen, heute, wie wunderbar, nur noch von außen.
In Seattle angekommen, natürlich drehte ich bereits im Flugzeug ein paar Zigarette vor, war ich die allererste des Fluges am Raucherplatz, so sagte es mir zumindest mein Gefühl. Ich zog gierig, der Sucht den Tribut zollend, schnell hintereinander, bis die Glut hell leuchtete. Plötzlich breitete sich im Brustkorb ein starker Schmerz aus. Mir wurde übel und schwindelig. Ich setzte mich und trat die Zigarette aus. Nun saß ich in meinem Gefängnis fest. Die Sucht schrie und zermarterte mir das Hirn, der Körper brüllte die Verletzung raus durch ganz Seattle.
Der Bus brachte uns zur Autovermietung. Ich hatte mir bereits 3 „Kleine“ gedreht. Die Formalien der Anmietung überließ ich meinem Mann und ging abermals zum Raucherplatz. Die zweite „Kleine“ vertrug ich bereits ganz gut und schob die dritte hinterher. Aus heutiger Sicht, war das möglicherweise eine Herzattacke, ausgelöst durch die Verengung der kleinen Gefäße. Weiter will ich gar nicht denken. Die Erweiterung der kleinen Blutgefäße war für mich die früheste spürbare Änderung, die bereits am ersten Tag nach dem Rauchstop eintrat.
Jeder kennt strenge Nichtrauchergesetze, doch gab es zu dieser Zeit eine Besonderheit. Klar, Rauchen in Restaurants, Autos, Motels ist absolut tabu. Doch, zu meinem Schreck durfte auch im Freien wegen Waldbrandgefahr nicht geraucht werden. Die Missachtung ist unsäglich teuer. Ich entwickelte folgende Methode: man nehme eine Flasche, fülle sie halb voll mit Wasser, wähle einen Weg, der nicht einsehbar ist, zünde sich die Kippe an und stecke sie mit der Glut in den Flaschenhals, führe Flasche und Kippe zum Mund und ziehe - achtsam sein und sich vergewissern, dass auch wirklich niemand schaut, ist Priorität Nr.1, man will ja nicht Strafe zahlen - dann drücke man mehrmals auf die Plastikflasche, sodass der Rauch sie wolkenförmig verlässt. Ist aufgeraucht oder droht die Gefahr entdeckt zu werden, lasse man die Zigarette ins Wasser fallen. Am besten geeignet sind Cola Flaschen, da die Farbe von Cola dem braungetönten Nikotinwasser ähnelt.
Mit klarer Sicht, die ich durch das Linksschreiben gefunden hatte, konnte ich nichts mehr verdrängen. So kleben bis heute die beschriebenen Erlebnisse und Peinlichkeiten im Bewusstsein fest. Leider sollte es aber noch eineinhalb Jahre dauern, bis der Entschluss kam, nicht mehr zu rauchen.

Der Entschluss

Er fiel, nachdem ich 400 Seiten links geschrieben habe. Die neue Welt, die ich gefunden hatte, fußte nun auf einem stabilen Fundament: Du weißt, du tust das Richtige, auch wenn es Dir momentan schlecht geht. Du hast keine Angst Falsches zu tun, der alte Zwiespalt, die Zweifel sind inzwischen begrenzt, jetzt bist du eine Persönlichkeit, nicht mehr zwei, die sich gegenseitig lähmen. Jetzt kannst du dich ganz für dich einsetzen. Als Kind wurde das Gegendicharbeiten als Zwangshandlung in Dir installiert. Du hast es geschafft eine Tür aufzustoßen, durchzugehen, die Welt neu zu begreifen. Wenn Du das kannst, kannst Du noch viel viel mehr.

Die Vorbereitung

Wie beim ersten Weltenwechsel, nahm ich mir sechs Wochen Zeit. Ich überflog das Buch von Allen Carr erneut und vertiefte mich in die Joel Spitzer Lektüre. Auch verbrachte ich wieder Tage am PC und recherchierte. Dabei stieß ich auf die Suchtkurve von Stop simply und das Forum. Auch hier las ich viel und mein Mut stieg, passte doch das hier Geschriebene sehr gut zu meinen Gedanken.
Ich beschäftigte mich mit dem Ziel der Tabakindustrie, das Suchtpotential der Zigaretten drastisch zu erhöhen. Werbung erreicht unser Unterbewusstsein perfekt, ist sie psychologisch durchdacht kreiert. Sie ist zwar ein Eingangstor, doch ist der eigentliche Chemiemix in einer Zigarette der wichtigste Aspekt. Zusatzstoffe können über 10% in einer Zigarette vorhanden sein, eine Obergrenze gibt es nicht.
Ab 1965 wurde Marlboro basisches Ammoniak zugesetzt, um den PH-Wert zu erhöhen. Der Anteil des Nikotins, das vom Raucher aufgenommen wird, stieg sprunghaft an. Wie man am damaligen finanziellen Umsatz ablesen kann, schoss ebenfalls die Anzahl der Abhängigen rasant in die Höhe. Die anderen Konzerne analysierten Marlboro und manipulieren ebenfalls den Tabak. Nun war das Ranking wieder ausgeglichen. Wieviel Chemiker sitzen wohl in den Tabakkonzernen und tüfteln an neuen Rezepturen, um die Raucher bei der suchtbringenden Stange zu halten?
Das Buch Alkohol und Tabak, Grundlagen und Folgekrankheiten ist eine liebgewonnene Lektüre aus der Anfangszeit. In diesem Fachbuch fand ich grundlegende körperliche Prozesse beschrieben, die der Tabak verändert, deutlich und fundiert erklärt. Ich zitierte sehr oft daraus.
Bei meinem einzigen ernsthaften Versuch, das Rauchen sein zulassen, scheiterte ich daran, dass ich nicht mehr klar denken konnte, gepaart mit einer merkwürdigen rastlosen Müdigkeit. Jetzt wusste ich, dass durch Nikotin Hormone wie Adrenalin freigesetzt werden. Dadurch wird Zucker ins Blut ausgeschüttet, dass das Gehirn prima zum Denken und zur Reflexion benutzen kann. Zucker kommt in Sekundenschnelle im Gehirn an. Das fällt nun weg. Genaugenommen macht man beim Entzug eine Art der Unterzuckerung durch.
Es werden vom Nikotin Acethylcholinrezeptoren (ACh) besetzt, dadurch werden unter anderem Hormone wie Serotonin und Dopamin beeinflusst. Die Rezeptoren sind für den Menschen lebensnotwendig, daher werden sie vermehrt. Setzt man die Droge ab, bleiben die Rezeptoren unbesetzt und das bedeutet Sucht, Sucht, Sucht. Der Körper wird die Rezeptoren zurückbauen, dann verschwindet die Sucht. Dieses Wissen genügte für den Startpunkt. Mir war völlig bewusst, auf welchen Kampf ich mich einlasse.


TwitterSTOP-SIMPLY twittert


Mehr zum Thema

Das STOP-SIMPLY E-Book